Zum Welt Vegan-Tag: Die 10 größten Einwände der radikalen Linken gegen Veganismus (und Argumente dagegen) – Neue Übersetzung

Wir wünschen euch allen einen schönen Welt Vegan-Tag!
Weil Tierbefreiung und Anarchismus für uns untrennbar verbunden sind und auch wir immer wieder hören, dass Veganismus diskriminierend sei, gibt es anlässlich des Tages eine neue Übersetzung von uns.

Der Text stammt von Dan Kidby und wurde von uns frei übersetzt, das englische Original findet ihr unter: https://medium.com/@Veganarchy/the-radical-lefts-top-10-objections-to-veganism-and-why-they-suck-5f27d19e801d

Auch wenn wir nicht mit allen Punkten übereinstimmen, finden wir dass er einen wichtigen Beitrag zur Debatte um Veganismus in der anarchistischen und linksradikalen Bewegung liefert. Der Text stammt aus einem US-Amerikanischem Kontext und nicht alle Punkte lassen sich eins zu eins auf die Verhältnisse in Deutschland übertragen, beispielsweise wenn es um sogenannte „fooddeserts“ geht; Gebiete in denen es keine Geschäfte gibt, die gesunde Lebensmittel verkaufen.

Wir wünschen euch viel Spaß beim Lesen und freuen uns über Feedback!

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Die 10 größten Einwände der radikalen Linken gegen Veganismus (und Argumente dagegen)

Nur weil jemand sich für Antirassismus oder Feminismus einsetzt, heißt dies noch lange nicht, dass diese Person auch ihren Kopf und ihr Herz für Tiere öffnet. Wenn wir versuchen, für die Befreiung der Tiere einzutreten, bekommen wir all die üblichen Einwände, die man von Liberalen hört – eine Debatte mit Linksradikalen aber, bringt einige sehr spezifische Einwände mit sich. Hier sind also Antworten auf 10 gängige Einwände der radikalen Linken gegen den Veganismus.

1) Veganismus ist der Versuch durch Konsum etwas zu verändern

Aus der Außenperspektive wird Veganismus am ehesten als eine Konsumentscheidung dargestellt, aber Veganismus auf einen Akt des Konsums oder des wirtschaftlichen Boykotts zu reduzieren, greift zu kurz.

Veganismus ist eine notwendige Voraussetzung um für Tierrechte einzustehen, man kann nicht die Interessen derer vertreten, die man zum Abendessen isst. Vegan zu leben bedeutet, die Beziehung zu Tieren radikal umzugestalten, von einer Beziehung der Ausbeutung und Herrschaft zu einer Beziehung der Liebe und Solidarität. Indem wir vegan leben, setzen wir die Kreativität und Innovation frei, die notwendig ist, um unsere gesellschaftliche Abhängigkeit von Produkten der Tierausbeutung zu überwinden. Wir entwickeln und entdecken vegane Rezepte, Forschungsmethoden und sogar Kindergeschichten, die nicht auf der Vorstellung der Unterdrückung von Tieren beruhen. Wir bauen alternative Gemeinschaften und Institutionen auf, die modellhaft zeigen, wie eine Gesellschaft ohne etwas so Allgegenwärtiges wie die Ausbeutung von Tieren funktionieren kann. In einer speziesistischen Welt unterstreicht und unterbricht eine ethische vegan lebende Person die normalisierte Gewalt jedes Mal, wenn sie sich weigert, tierische Produkte zu essen oder sich an einen Tisch zu setzen, an dem tierische Produkte konsumiert werden.

Veganismus ist eine tiefgreifende und facettenreiche Form des Widerstands und nur ein Aspekt der umfassenderen Tierbefreiungsbewegung, die viele verschiedene Formen des Aktivismus wie direkte Aktionen, Aufklärungsarbeit und strategische Rechtsstreitigkeiten umfasst.

2) Ich bin Freeganer*in (ich esse nur tierische Abfallprodukte)

Wenn der Hund, den du liebst, sterben würde, würdest du ihn essen, um das „Essen“ nicht zu „verschwenden“? Würdest du seinen Körper überhaupt als „Lebensmittel“ betrachten? Tierkörper und ihre Ausscheidungen als verschwendete Ressource zu betrachten, spiegelt eine tief verwurzelte kapitalistische und anthropozentrische Denkweise wider, nach der Tiere Ressourcen sind, die von Menschen genutzt und verbraucht werden. Indem wir eine vegane Haltung einnehmen, widersetzen wir uns der Kommerzialisierung und Verdinglichung von Tieren und gestalten die Welt, die wir kreieren wollen. Indem wir unsere Wahrnehmung radikal ändern, weigern wir uns, unsere Wahrnehmung von einer brutalen Industrie bestimmen zu lassen, die will, dass wir ein Stück Fleisch sehen und nicht den Körper eines ermordeten Individuums, das nichts anderes wollte, als in Frieden und Freiheit zu leben.

Es ist durchaus möglich – und bewundernswert -, ein*e vegane*r Freeganer*in zu sein, so albern diese Worte auch klingen mögen…

3) Im Kapitalismus gibt es keinen ethischen Konsum

Dieses Argument impliziert, dass in einem postkapitalistischen System tierische Produkte irgendwie ethisch erworben werden könnten, aber das ist offenkundig falsch. Im Gegensatz zu Obst und Gemüse sind tierische Produkte per se unethisch und ausbeuterisch, da sie empfindungsfähige Wesen als Ressourcen und Eigentumsobjekte behandeln. Der Verzehr von Tieren wird in kommunistischen Gesellschaften unethisch sein und er wird in anarchistischen Gesellschaften unethisch sein.

Es stimmt, dass vegane Produkte, die heute verkauft werden, nicht komplett ethisch oder frei von Ausbeutung sind, und jede*r, die*der solche Behauptungen aufstellt, hat entweder das gewalttätige Wesen des industriellen Kapitalismus und die Unsichtbarkeit von menschlichem und tierischem Leiden innerhalb unserer Produktionssysteme falsch verstanden oder stellt sie falsch dar. Es gibt viele radikale Veganer*innen, die die weitreichenden Schäden des industriellen Kapitalismus anerkennen und daher ihren Veganismus in einem ganzheitlicheren, radikalen und revolutionären Sinne verstehen.

4) Es ist Zeitverschwendung, für die Befreiung der Tiere zu kämpfen, solange wir nicht die Probleme lösen, die die Menschen am Zugang zu gesunden Lebensmitteln hindern

Wie Audre Lorde einst sagte: „Es gibt keine Hierarchie der Unterdrückung“. Alle Systeme der Unterdrückung und Ungerechtigkeit sind miteinander verflochten, sie entspringen der gleichen Mentalität von Dominanz und Macht. Wir können nicht auf Gerechtigkeit für die Menschen hoffen, wenn wir uns weiterhin an Systemen der Gewalt gegen Tiere beteiligen. Unsere Befreiung ist eng miteinander verbunden.

Die Tierbefreiungsbewegung bietet neue Möglichkeiten, das kapitalistische System, das für die ungleiche Verteilung der Ressourcen verantwortlich ist, in Frage zu stellen, und schafft eine ganz neue Gruppe von Aktivist*innen, die sich gegen die Unterdrückung der Tiere einsetzen. Die Ziele dieser Bewegung kommen nicht nur den Tieren zugute, sondern jeder ihrer Siege wird allen Menschen materiell zugute kommen und insgesamt soziale Bewegungen gegen die mächtigen Institutionen und Ideologien, die uns unterdrücken, voranbringen.

Die Tierbefreiungsbewegung wird die Ernährungsgerechtigkeit vorantreiben, wenn sie die Subventionen von der ökologisch zerstörerischen, grausamen und ungesunden Tierhaltung auf gesundes, lokal angebautes Obst und Gemüse umlenkt und so Land für eine mögliche Wiederbewaldung frei macht. Die Bewegung könnte einen Präzedenzfall schaffen und Kampagnen gegen das Marketing von Unternehmen inspirieren, wenn sie versucht, die Lügen und Täuschungen der Industrie in Form von „Green-Washing“ aufzudecken (und schließlich zu verbieten). Der Erfolg der Tierbefreiungsbewegung wird auch uns Menschen und unseren Planeten schützen, indem die Tierhaltungsindustrie aufgehalten wird, die den zweitgrößten Anteil am Ausstoß von Treibhausgasen und den größten Anteil an der Verschmutzung der Ozeane, der Wasserverschmutzung und der Abholzung des Amazonas hat.

5) Veganismus ist ein Luxus des globalen Nordens

Der Verzehr großer Mengen an tierischen Produkten ist der Inbegriff des Luxus des globalen Nordens. Tierische Produkte hängen von einem globalisierten Lebensmittelsystem ab, das Land kolonisiert und verödet, die Wasserwege verschmutzt, marginalisierte Arbeiter*innen dem qualvollen Job des Massentötens aussetzt, riesige Mengen an Lebensmitteln verschwendet und Milliarden von Tieren in der überfüllten und grausamen Massentierhaltungen quält.

Ohne die Privilegien der ausbeuterischen industriellen Landwirtschaft und des globalen Kapitalismus wäre es nicht möglich, jeden Tag in der Woche tierische Produkte zu essen. Es ist sehr aufschlussreich, dass die Menschen in den reichsten Ländern der Welt die meisten tierischen Produkte essen, während in den ärmsten Ländern der Welt die Menschen mit einer überwiegend pflanzlichen Ernährung auskommen.

Veganismus ist ein Weg, unsere Privilegien im globalen Norden nicht länger auszunutzen, sondern sie stattdessen zum Wohle der Umwelt, der Tiere und der verarmten Gemeinschaften auf der ganzen Welt einzusetzen. Überall auf der Welt gab und gibt es Menschen, die für die Befreiung der Tiere kämpfen.

6) Veganismus ist klassistisch

Es stimmt, dass es für die Arbeiter*innenklasse größere Hindernisse gibt, sich für eine vegane Lebensweise zu entscheiden, als für die Mittelschicht. Diese Hindernisse können in Form von Zugang, Kosten, Zeit und Fähigkeiten zur Änderung des eigenen Lebensstils auftreten. Solange man jedoch nicht in einer Gegend lebt, in der gesunde Nahrungsmittel kaum oder schwer zu bekommen sind, können Obst, Gemüse, Getreide, Nüsse und Samen erschwinglich, gesund und nahrhaft sein – tatsächlich kann eine vegane Ernährung sogar billiger sein.

Darüber hinaus gibt es viele Tierbefreiungsaktivist*innen of Color aus der Arbeiter*innenklasse, die hart daran arbeiten, Projekte in einkommensschwachen Gemeinden aufzubauen. Sie wollen damit Speziesismus und „Ernährungsarmut“ bekämpfen, indem sie Menschen bei der Umstellung auf den Veganismus beraten und unterstützen und strukturelle Hindernisse beseitigen, die den Gemeinden den Zugang zu nahrhaften pflanzlichen Lebensmitteln verwehren. Das Food Empowerment Project und die Arbeit von Brenda Sanders sind gute Beispiele dafür.

7) Veganismus ist behindertenfeindlich

Veganismus als Konzept ist nicht behindertenfeindlich, es ist einfach die Idee, dass Tiere nicht für unseren Gebrauch existieren. Es gibt eine sehr kleine Anzahl von Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung tierische Produkte konsumieren müssen. Aber diese Tatsache kann nicht dazu dienen, generell für den Konsum von tierischen Produkten oder Tieren selbst zu sein, sie stellt keine Entschuldigung für Menschen dar die keine Allergien, Unverträglichkeiten oder anderen Erkrankungen haben.

Es gibt Tierbefreier*innen, die aufgrund ihres Einkommens, ihrer Energie oder ihren Fähigkeiten physisch nicht in der Lage sind, vollständig vegan zu leben – die sich jedoch weiterhin für die Sache engagieren und ihr Bestes geben, im Vertrauen darauf, dass mit der zunehmenden Stärke und Popularität dieser Bewegung mehr Energie darauf verwendet wird, den Veganismus für alle zugänglich zu machen. Es gibt viele behinderte Tierbefreier*innen, die Veganismus als Widerstand gegen Behindertenfeindlichkeit sehen.

Behindertenfeindlichkeit ist ein großes Problem in allen sozialen Bewegungen, das angegangen werden muss, und die Tierbefreiungsbewegung ist da keine Ausnahme. Wie in anderen Bewegungen gibt es auch in der Tierbefreiungsbewegung viele behinderte Menschen und ihre Verbündeten, die sich gegen Behindertenfeindlichkeit in der Tierbefreiungsbewegung wehren, um Räume zu schaffen, in denen behinderte Menschen willkommen sind, akzeptiert werden und ihre Stimmen gleichberechtigt gehört werden.

8) Viele Kulturen haben in Vergangenheit und Gegenwart in Harmonie mit der Natur gelebt und Tiere gegessen

Wir müssen die Dinge in ihrem jeweiligen sozialen, kulturellen und historischen Kontext betrachten. Nur weil viele Kulturen Tiere getötet haben, um zu überleben, heißt das nicht, dass wir in einer modernen oder zukünftigen postkapitalistischen Gesellschaft so leben müssten. Es rechtfertigt auch nicht unseren heutigen Konsum. Außerdem müssen wir sehr vorsichtig damit sein, indigene Kulturen zu romantisieren, was eine weitere Form des versteckten Rassismus ist. Ja, ihr ökologischer Fußabdruck war wesentlich kleiner als der der westlichen Gesellschaft, aber das bedeutet nicht, dass ihre Kulturen perfekt waren – keine ist das.

Es ist wirklich wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, dass der westliche Konsum von tierischen Produkten Gemeinschaften zerstört, die für ihr Überleben auf den Verzehr von Tieren angewiesen sind. Zum Beispiel leert die kommerzielle Fischerei die Ozeane von Meereslebewesen und hindert Gemeinschaften daran, sich so zu ernähren, wie sie es seit Tausenden von Jahren getan haben, was sie in Nahrungsmittelarmut stürzt. Es gibt auch viele indigene Veganer*innen und Veganer*innen of Color, die den Veganismus als einen Weg zur Entkolonialisierung ihrer Ernährung befürworten und erkennen, dass der hohe Konsum von Tierkörpern und -sekreten für viele Kulturen eine koloniale Zumutung darstellt. Viele von ihnen sehen in der Rückkehr zur traditionellen einheimischen pflanzlichen Küche einen Weg zur Wiederaneignung ihrer Kultur.

9) Veganismus ist was für Weiße

Veganismus ist ein ethisches Prinzip, das sich gegen die kommerzielle Nutzung von Tieren wendet. Seine Ursprünge liegen auch in den Kulturen von Rassismus betroffenen Menschen auf der ganzen Welt, einschließlich Religionen wie Jainismus und Buddhismus. Es gibt eine große Anzahl Veganer*innen of Color, von denen viele ihren Veganismus durch die rassismuskritische Brille und in Opposition zur weißen Vorherrschaft betrachten. Der Mainstream-Veganismus hat ein weißes Image, weil Veganer*innen of Color an den Rand gedrängt und im Diskurs zum Schweigen gebracht werden. Doch dank der guten Arbeit von Veganer*innen of Color und ihren Verbündeten werden diese Probleme der weißen Dominanz innerhalb der Bewegung angegangen. Aber ist Veganismus, eine Sache für Weiße? Nein. Ich meine, komm schon, Angela Davis ist Veganerin

10) Veganer*innen kümmern sich nicht um menschliche Belange

Seit den Anfängen der Bewegung gibt es viele Veganer*innen, denen Fragen der menschlichen Gerechtigkeit sehr am Herzen liegen. Viele Veganer*innen gehören selbst zu marginalisierten Gruppen und sehen die Befreiung der Tiere mit ihrer eigenen Befreiung verbunden. Viele Veganer*innen fühlen sich ethisch verpflichtet, sich mit anderen Anliegen der sozialen Gerechtigkeit zu solidarisieren. In einer kürzlich durchgeführten Umfrage unter amerikanischen Veganer*innen gaben 93 % an, sich in anderen Bewegungen für soziale Gerechtigkeit zu engagieren. Damit soll nicht geleugnet werden, dass es in der Vergangenheit Tierschützer*innen und NGOs gab, die in ihrem Aktivismus unsensibel oder unterdrückerisch waren, aber dies ist in vielen Bewegungen vorgekommen (oder habt ihr etwa den weißen Feminismus vergessen?).

In dem Maße, wie die Tierbefreiungsbewegung vielfältiger wird, stehen immer mehr Menschen auf, um Bigotterie in unseren Gemeinschaften herauszufordern, zu fordern, dass marginalisierte Gruppen bei der Befreiung der Tiere nicht übergangen werden. Um eine revolutionärere und ganzheitlichere vegane Politik zu fordern. Es gibt heute viele Strömungen des Veganismus, die die Bewegung in positive Richtungen lenken: pro-intersektionaler Veganismus, radikaler Veganismus, schwarzer Veganismus und Vegananarchismus – sie alle sind es wert, dass man sie sich ansieht.

Wenn du diesen Text liest und noch nicht vegan bist, wie wäre es, dich der Tierbefreiungsbewegung anzuschließen? Setz dich für Tiere ein und hilf, Brücken zwischen der Tierbefreiungsbewegung und anderen Bewegungen für soziale Gerechtigkeit zu bauen.